Donnerstag, 8. März 2018

Vom Nutzen der Gefühle

Auf den Psychiater Christian Peter Dogs bin ich durch ein Interview in der Schwäbischen Zeitung gestossen. Ausgesprochen gut gefallen hat mir, dass er sich in seiner therapeutischen Tätigkeit auch selber einbringt, befremdet hat mich hingegen sein Glaube an Diplome. "Ich habe alle Facharztqualifikationen, die man in unserem Fachgebiet haben kann. Die hatte mein Vater nie. Aus diesem Grund ist mein Buch auch ein Aufruf, stolz auf sich zu sein."

Dieses Buch, Gefühle sind keine Krankheit: Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen (Ullstein Verlag, Berlin 2017), weist als Autoren Christian Peter Dogs sowie die Journalistin Nina Poelchau aus (man darf annehmen, dass es von letzterer geschrieben wurde), liest sich gut und vertritt Auffassungen, die wesentlich vom gesunden Menschenverstand diktiert und mir sympathisch sind. 

Verantwortlich dafür, wie wir uns fühlen, ist das Gehirn. Und deshalb sollten wir verstehen, zumindest in Grundzügen, wie es funktioniert. Schon mal vom Hippocampus gehört? Er ist die Verbindung zwischen emotionalem und rationalem Gehirn und funktioniert als Gesamtsicherung: Wird er mit zuvielen Reizen (etwa bei Stress) überflutet, nimmt er Schaden oder klinkt sich aus – man wird gefühllos, spürt sich nicht mehr. Das Gehirn schirmt sich ab, nimmt eine Auszeit. Man sollte sich nicht dagegen wehren, sondern sie zur Entspannung nutzen und sich zu „re-setten“, so Dr. med. Dogs.

Nur etwa fünf Prozent unserer Gehirnaktivität läuft bewusst ab. Und das ist eine ausgesprochen gute Nachricht, denn sie besagt einerseits, dass wir uns so recht eigentlich relaxed zurücklehnen können, denn unser Unbewusstes führt die Regie, und andererseits, dass unsere Bemühungen anders sein zu wollen als wir sind, meist zum Scheitern verurteilt sein werden.

Doch wir sind nicht einfach Opfer, wir können durchaus Einfluss auf unser Leben nehmen. Vor allem wichtig ist, dass wir unser hochkomplexes Gehirn pfleglich behandeln. Und das meint: Wir können zum Teil mitentscheiden, womit wir es füttern. Wenn wir dauernd ausgetretene Pfade gehen (also immer dasselbe machen), wird sich das Gehirn entsprechend darauf einstellen. Wenn wir häufig neue Erfahungen machen, ebenso.

Gefühle sind keine Krankheit: Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen ist zu grossen Teilen die Autobiografie eines Menschen, der unter schwierigsten Verhältnissen aufwuchs und nichtsdestotrotz eine beachtliche Karriere hinlegte. Es ist das Teilen seiner reflektierten Lebenserfahrungen, das ihn zu einem etwas anderen Psychiater macht. Er weiss aus eigenem Erleben was Missbrauch und Heroinsucht bedeuten und berichtet offen darüber. Das ist so selten wie eindrücklich. Und müsste doch so recht eigentlich selbstverständlich sein, denn wirklich glaubwürdig sind Psychiater, die auf die Offenheit ihrer Patienten angewiesen sind, nur dann, wenn sie auch selber offen sind. Christian Peter Dogs ist so einer. 

Der zweite Teil des Buches ist mit Therapie in Deutschland – eine Kritik überschrieben und zeigt an erfundenen, doch realitätsnahen Fallbeispielen auf, woran gängige Therapien kranken und was anders zu machen wäre beziehungsweise Christian Peter Dogs anders macht. Das ist spannend und praxisnah geschildert und von common sense (der allerdings nicht besonders common ist) geprägt. 

Dann gibt es noch einen Teil drei, der die Frage "Was kann ich selbst tun?" behandelt ("Pflegen Sie Ihre Beziehung", "Wagen Sie etwas", "Runter vom Gas" – der Mann kocht auch nur mit Wasser) sowie einen Teil vier, worin er eine Klinik nach seinen Vorstellungen präsentiert.

Gefühle sind keine Krankheit: Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen ist ein überzeugendes und ausgesprochen hilfreiches Buch  vor allem Psychiater, Psychologen  und andere seelische Ratgeber sollten sich Christian Peter Dogs' Haltung und Vorgehen zum Vorbild nehmen.

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