Mittwoch, 6. August 2014

Die Treffen der Anonymen Alkoholiker

Stephen Kings Doctor Sleep handelt unter anderem von Dan Torrance, der die Suchtkrankheit seines Vaters geerbt hat und deswegen an Treffen der Anonymen Alkoholiker (AA) teilnimmt. Und von diesen soll hier die Rede sein.

Die Bibel der AA ist das Blaue Buch und ein alter AA-Spruch lautet: "Wenn du etwas vor einem Alkoholiker verstecken willst, steck es ins Blaue Buch."

Ein Kapitel im Blauen Buch heisst 'An die Ehefrauen' und ist "voll veralteter Klischees, die bei den jüngeren Frauen im Raum fast immer scharfe Reaktionen auslösten. Die Teilnehmerinnen wollten wissen (zu Recht, wie Dan dachte), wieso niemand in den gut fünfundsechzig Jahren seit der ersten Veröffentlichung des Blauen Buchs ein Kapitel mit dem Titel 'An die Ehemänner' hinzugefügt hatte."

Wir lesen unter anderem von der Alkoholikerin Gemma, einer Frau in den Dreissigern, "die nur über zwei Gefühlszustände zu verfügen schien: wütend und total angepisst" und die, nachdem sie an einem Treffen ihre Geschichte mit der vom AA-Programm geforderten 'absoluten Ehrlichkeit' erzählt hatte, schluchzend zusammengebrochen war. Wir erfahren, dass bei den AAs Ratschläge verpönt sind, denn sie gelten als Einmischung. Und dass Alkoholiker oft aus total geringfügigen Gründen Ehe und Job hinschmeissen.

Beim 12-Schritte Programm der AA geht es darum, seine destruktiven Zwänge abzulegen und sich eine lebensbejahende Haltung anzueignen. Das ist alles andere als einfach. "Weiss Gott, er wollte nicht wie sein Vater sein, der sich auch in seinen nüchternen Phasen nur mit grösster Mühe hatte beherrschen können. Das AA-Programm sollte dabei helfen, mit der eigenen Wut umzugehen, und meistens tat es das auch, aber es gab Zeiten wie diese Nacht, in denen Dan bewusst wurde, wie wacklig die Barriere war. Zeiten, in denen er sich wertlos fühlte, und dann kam es ihm so vor, als wäre Schnaps das Einzige, was er verdiente. In solchen Zeiten fühlte er sich seinem Vater ganz nah."

"Es gab nachsichtige AA-Sponsoren, strenge AA-Sponsoren, und dann gab es noch solche wie Casey Kingsley, die sich von ihren Schützlingen nicht den geringsten Scheiss bieten liessen. Als die Beziehung der beiden noch am Anfang gestanden hatte, hatte Casey Dan aufgetragen, neunzig Treffen in neunzig Tagen zu absolvieren und ihn jeden Morgen um sieben anzurufen. 'Wenn du zu früh anrufst, lege ich auf. Wenn du zu spät anrufst, sage ich dir, du sollst morgen wieder anrufen ... aber nur falls du bis dahin noch trocken bist. Und wenn du besoffen oder verkatert anrufst, merke ich das, sobald dir drei Wörter aus dem Mund gekommen sind.'" Kein Wunder funktionieren die AAs nicht für alle!

Bei den AAs wird nicht versucht, dem Saufen einen Sinn zu geben. Stattdessen geht es darum, zu akzeptieren, dass man dem Alkohol gegenüber machtlos ist. Treffend illustriert das dieser Dialog zwischen Casey und Dan:
"'Sag mir jetzt mal, wieso du früher gesoffen hast.'
'Weil ich ein Säufer bin.'
'Nicht weil deine Mama dich nicht geliebt hat?'
'Nein.' Wendy hatte ihre Fehler gehabt, aber ihre Liebe zu ihm - und seine zu ihr - war nie ins Wanken geraten.
''Oder weil dein Daddy dich nicht geliebt hat?'
'Nein.' Obwohl er mir einmal den Arm gebrochen und mich am Ende fast umgebracht hat.
'Weil es erblich ist?'
'Nein.' Dan nippte an seinem Kaffee. 'Aber das ist es. Das weisst du doch, oder?'
'Klar. Ich weiss aber auch, dass das belanglos ist. Wir haben gesoffen, weil wir Säufer sind. Davon genesen wir nie. Auf der Basis unseres spirituellen Zustands erhalten wir täglich eine Bewährungsfrist, und damit hat sich's.'"

Stephen King
Doctor Sleep
Heyne Verlag, München 2014

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