Sonntag, 14. Oktober 2012

Schluss mit dem Eiertanz

Was Borderliner und ihre Angehörigen lernen müssen, so Larry J. Siever im Vorwort, sei, die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. "Für beide Parteien gilt: Einzig die Übernahme von Verantwortung für das eigene Verhalten als Erwachsener eröffnet die Chance zu authentischer Veränderung, unabhängig von der Lebensgeschichte." Das klingt einfacher als es ist (man lese M. Scott Pecks The Road Less Travelled), doch es ist notwendig.

"Wie verhält man sich als Angehöriger eines Borderline-Betroffenen richtig?", fragt der Klappentext und antwortet wie folgt: "Der Angehörige ist nicht der Therapeut des Borderliners. Dies ist nicht die Aufgabe des Angehörigen. Man präge sich folgende Grundsätze ein:
- Ich bin nicht die Ursache der Störung
- Ich kann die Störung nicht kontrollieren
- Ich kann die Störung nicht heilen
- Ich lasse den Borderliner in Ruhe
- Ich lebe mein eigenes Leben"

Anders gesagt: haltet Euch raus, lasst die Spezialisten machen. Nun ja, das würde voraussetzen, dass die Spezialisten wissen, was zu tun ist, und da habe ich so meine Zweifel. Und die beiden Autoren sehen das offenbar auch so, sonst könnten sie kaum Sätze schreiben wie diesen: "Wurde der Borderliner bereits von mehreren psychologischen Profis betreut, ist es durchaus möglich, dass jeder eine abweichende Diagnose gestellt hat."

Es gelte, so lerne ich, wenn es zu einer Aussprache mit einem Borderliner komme, immer diese Worte von John M. Grohol  im Hinterkopf zu behalten: "Man kann niemanden zwingen, sein Verhalten zu ändern. Schliesslich handelt es sich für die Person, die an der Störung leidet, nicht nur um 'Verhaltensweisen' – es sind Bewältigungsstrategien, auf die sie sich zeitlebens gestützt hat."

Man kann es nicht genug betonen – und ist froh, dass dieses Buch es auch tut: Wer unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet, ist nicht mit ihr identisch. Wichtig ist auch dies: Borderliner denken und fühlen nicht wie andere. "Um das Verhalten von Borderlinern verstehen zu können, muss man aus der eigenen komfortablen Welt heraustreten und die Reise in die Welt der Borderliner antreten. Dies gilt umso mehr, als ja auch von den Borderlinern erwartet wird, sich in der Welt des Angehörigen zu bewegen."

Boderliner leiden an der Welt. "Beherrscht von der Angst vor dem Verlassenwerden, können sie überkritisch sein und so schnell in Wut geraten, dass andere schliesslich den Plan fassen, sie zu verlassen. Da der Borderliner nicht imstande ist, sich den Ursachen seines Schmerzes zu stellen, weil sein Selbstbild darunter leiden würde, gibt er anderen die Schuld und schlüpft selbst in die Rolle des Opfers." Ist der Borderliner wirklich nicht imstande, sich den Ursachen seines Schmerzes zu stellen? Einige sind es zweifellos und dürfen deswegen auch berechtigte Hoffnung auf Besserung haben.

Verdrängung, wird eine Borderlinerin zitiert, sei eine Bewältigungsstrategie, die helfe, Schmerz und Angst unter Kontrolle zu halten. Das gilt nicht nur für Borderliner, will man da sofort hinzufügen, nur ist eben das Ausmass an Schmerz und Angst, unter dem ein Borderliner leidet, wesentlich grösser als dasjenige eines 'Normalos' "Bitte, bitte, bitte nehmt den Borderlinern, die noch nicht so weit sind, sich dem schwarzen Loch in ihrem Innern zu stellen, nicht die Verdrängung. Vielleicht hält nur sie uns am Leben." Doch warum fällt es den Borderlinern so schwer, sich zu stellen? Ist die Angst wirklich so überwältigend, dass man sie nicht direkt angehen kann? Und falls ja, wieso? Die beiden Autoren erklären es so: "Man stelle sich vor, man fühle sich völlig leer, als habe man praktisch kein eigenes Ich. Und nun soll man auch noch zugeben, mit dem Wenigen, das man als eigenes Ich identifizieren kann, stimme etwas nicht. Für viele Menschen mit Borderline ist dies, als hörten sie auf zu existieren – für jeden ein entsetzliches Gefühl. Um dies zu vermeiden, greifen Borderliner oft zu einem wirkungsvollen, weit verbreiteten Abwehrmechanismus: der Verdrängung. Sie behaupten, mit ihnen sei alles in Ordnung, trotz deutlicher Hinweise auf das Gegenteil. Sie sind eher bereit, den Verlust wichtiger Dinge oder Menschen hinzunehmen – ihrer Arbeit, von Freunden und Familie – als sich selbst zu verlieren. Übrigens: wer dies begreift, wird den Mut von Borderlinern zu schätzen wissen, die sich Hilfe suchen."

"Schluss mit dem Eiertanz" ist voll solcher nützlicher und hilfreicher Erläuterungen und sei hiermit wärmstens empfohlen. Auch wegen dieser Empfehlung, die sich nicht nur an Angehörige von Borderlinern, sondern so recht eigentlich auch an Borderliner selbst richtet: "Die Welt bleibt nicht stehen, wenn ein Angehöriger ein wenig Zeit für sich braucht und sich diese auch nimmt. Ja, er wird sogar erfrischt und gestärkt zurückkehren."

Paul T. Mason / Randi Kreger
Schluss mit dem Eiertanz
Für Angehörige von Menschen mit Borderline
Balance Ratgeber
BALANCE buch & medien verlag, Bonn 2010

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